Neun von zehn Aargauer Unternehmen sind von Arbeitskräftemangel betroffen. Welche Gegenmassnahmen Wirtschaft und Politik ergreifen, war Thema der ersten FDP-Unternehmertagung bei der Schoop-Gruppe in Dättwil. Auch die Familienfirma muss für gute Mitarbeitende alle Register ziehen.
Die Schoop-Werkhalle ist multifunktional. Wo normalerweise Bleche verarbeitet und Profile hergestellt werden, nahmen am Morgen des 31. August rund 120 Gäste an der FDP-Unternehmertagung teil, der ersten Durchführung dieses neuen Veranstaltungsformats der FDP Aargau. Und Gastgeber Adrian Schoop kündigte an, dass hier bald das jährliche Sommerfest mit Beach-Bar stattfinden werde. «Es steht sinnbildlich für unseren Zusammenhalt», sagte der Unternehmer und Grossrat. Die Pflege der Mitarbeitenden ist für ihn ein wichtiges und wirksames Instrument gegen den grassierenden Arbeitskräftemangel.
Marianne Wildi, Präsidentin der Aargauischen Industrie- und Handelskammer, zitierte aus der AIHK-Wirtschaftsumfrage 2024. 93 Prozent der befragten Unternehmen leiden unter überlasteten Mitarbeitenden, einer erhöhten Fluktuation und steigenden Personalkosten. Dass die Babyboomer in grosser Zahl in Pension gehen und zu wenige junge Arbeitskräfte nachkommen, hilft nicht. Also müssen, wie schon Parteipräsidentin Sabina Freiermuth in ihrer Begrüssung gefordert hatte, die Rahmenbedingungen verbessert werden: durch flexiblere Arbeitszeiten im Arbeitsgesetz, die Ermöglichung von Bogenkarrieren für ältere Mitarbeitende und vor allem durch Anreize für Frauen, eine Erwerbsarbeit aufzunehmen. «Wir müssen daran arbeiten, dass es sich lohnt zu arbeiten», sagte Wildi.
Für die familienergänzende Kinderbetreuung sind im Aargau die Gemeinden zuständig. Dies sei angesichts der unterschiedlichen Nachfrage in städtischen und ländlichen Gebieten an sich richtig, findet Regierungsrat Stephan Attiger. Der ausgeprägte Föderalismus führe aber nicht automatisch zum richtigen Angebot am richtigen Ort. Attiger kündigte eine Vorlage an, die bessere Anreize schaffen soll. Die attraktiven Wohnlagen im Aargau, die gute Erschliessung und das damit verbundene Bevölkerungswachstum dürften nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Arbeitskräftemangel virulent sei, zumal mehr Erwerbstätige weg- als zupendeln. Dies spüre auch der Kanton als Arbeitgeber, der auf die neuen Bedürfnisse reagieren müsse. «Bei uns können Bauingenieure Teilzeit arbeiten», sagte Attiger, wobei mit 5-mal 80 Prozent die gleich gute Leistung herausschaue wie mit 4-mal 100 Prozent.
Die Voegtlin-Meyer AG in Windisch liefert Brenn- und Treibstoffe. «Der Chauffeur-Job ist nicht so sexy», ist sich Inhaber Martin Gautschi bewusst – und setzt sich deshalb schon mal selbst hinter das Steuer eines Tanklastwagens. Ein gutes Vorbild zu sein, reicht aber nicht, denn der Arbeitsmarkt sei ausgetrocknet. Die Voegtlin-Meyer AG brauche deshalb neben fairen Löhnen auch moderne Fahrzeuge, um als Arbeitgeberin attraktiv zu sein. Doch mit einer erfolgreichen Rekrutierung ist es noch nicht getan: Gautschi investiert in Weiterbildungen seiner Mitarbeitenden zu Equipenchefs für Tankrevisionen mit eidgenössisch anerkanntem Diplom und schickt fremdsprachige Angestellte in einen Deutschkurs. Auf ausländische Arbeitskräfte sei Voegtlin-Meyer stark angewiesen, gab Gautschi in seinem Praxiseinblick zu bedenken.
Mit der Frage nach dem Potenzial der Generation Z lieferte Moderator Fabian Hägler, Chefredaktor der Aargauer Zeitung, Fraktionspräsident Silvan Hilfiker in der Podiumsdiskussion einen Steilpass. Der Grossrat möchte mit einer aktuellen Motion Ausbildungsbetrieben Steuerabzüge ermöglichen. Der neue CEO der Hypothekarbank Lenzburg schwärmte von «seinen» Lernenden. Seine Vorgängerin Marianne Wildi betonte, wie wichtig ein gutes Image der Firma sowie der erste Eindruck mit Berufsbildnerinnen und -bildner seien, um Lehrstellen mit den passenden Kandidatinnen und Kandidaten nachhaltig besetzen zu können.
Überhaupt, waren sich alle einig, habe sich die Einsicht bisher nicht genügend durchgesetzt, dass das duale Bildungssystem der Schweiz der Hit sei. Um der Akademisierung entgegenzuwirken, brauche es noch einige Anstrengungen, sei es aus dem Ausland Zugezogenen, die besser aufgeklärt werden müssten (Hilfiker), oder bei Lehrpersonen, welche die Vorzüge einer Berufslehre in ihren Klassen noch stärker hervorheben dürften (Gautschi). Dem Berufsnachwuchs Leistung als positiven Wert vermitteln: Diese in den Augen von Stephan Attiger wichtige Aufgabe von Politik und Wirtschaft ist eine von vielen Zutaten im Rezept gegen den Arbeitskräftemangel.
Zum Schluss dankte Adrian Schoop stellvertretend für seine langjährigen Mitarbeitenden Michèle Mosimann, der Bereichsleiterin Blech + Profil. Die gelernte Metallbaukonstrukteurin und ausgebildete Betriebswirtschafterin führe die Abteilung, die mit der Herstellung von Unterkonstruktionen für Solaranlagen stark gewachsen ist, umsichtig und erfolgreich. Beim anschliessenden Apéro riche wurde zwar noch kein «Schoop on the Beach» kredenzt – den Drink gibt’s dann am Sommerfest –, aber doch genügend Tranksame für die durstigen Kehlen. Das Thema gab, auch im Publikum, viel zu reden. Und die Lösung des Problems gibt noch viel zu tun.
Thomas Röthlin